Neue Kunst in alten Gemäuern: Eine Künstlergruppe macht aus dem Alten Gefängnis Freising eine eigene kleine Welt, die zu betreten sich lohnt.
Farbenrausch und Sehnsuchtsstille, natürliche Schönheit und kunstvolle Arrangements – die Welt in ihrer ganzen beeindruckenden Vielfalt haben sechs Künstlerinnen und Künstler eingefangen, um sie unter dem Motto „Freigang“ vom 7. bis 11. Oktober 2015 dem interessierten Publikum zu präsentieren. Und "eingefangen", das kann man hier wortwörtlich verstehen, denn die Werke werden dort ausgestellt, wo bis ins Jahr 1965 jahrhundertelang Verbrecher und Unschuldige auf ihr Urteil warteten: im Alten Gefängnis Freising, das dank des gleichnamigen gemeinnützigen Vereins mittlerweile zur Kulturstätte geworden ist.
Die Tatsache, dass ausgerechnet in diesen denkmalgeschützten, geschichtsträchtigen Mauern nun das künstlerische Leben gefeiert wird, darf man durchaus einen Moment auf sich wirken lassen. Denn auch in modernen Zeiten wie den unseren ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass die Kunst sich frei entfalten darf – man denke nur an den Chinesen Ai Weiwei als derzeit wohl bekanntestes Beispiel für politisch verfolgte Künstler. Doch auch ohne diese Randnotiz ist die Freisinger Ausstellung sehenswert, haben sich hier doch sechs so unterschiedliche wie schillernde Charaktere aus der Umgebung zusammengetan, die – durchweg auf hohem Niveau – ihre Sicht auf die Welt in Malereien, Fotografien und Skulpturen gefasst haben und die durch ihr jeweiliges, ganz eigenes Temperament die einzelnen Räume des Alten Gefängnisses zum Leuchten bringen.
Da wäre zum Beispiel Markus Lindinger, der sich der Spachteltechnik verschrieben hat, seine Malereien also pinsellos erschafft. Dem Zufall gibt er dabei ebenso Chancen wie der geplanten Linie, Schicht für Schicht trägt er Farben auf oder kratzt sie ab, bis jedes Bild einen kleinen, bedeutsamen Teil seiner Seele offenbart. Oder Gerald Weigand, auf dessen Farbpalette sich auch die Nuance „Licht“ zu finden scheint, so flirrend schön sind seine eindrucksvollen Naturbeobachtungen, bei denen ein hingetupfter Grashalm plötzlich die Welt bedeuten kann. Malerei ist auch das Metier von Linda Ferrante, deren Werk changiert zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen Unbewusstem und dem, was wir Realität nennen. Beides wird von ihr in Einklang gebracht in geheimnisvoll-träumerischen Bildern, die den Betrachter einladen, in ihnen seine ganz eigene Geschichte zu finden und zu erleben.
Diesen Dreien aus der malenden Zunft gegenüber stehen zum einen Leander Dolisni-Wennige, dessen mystisch und bisweilen fast sakral anmutenden Metallskulpturen wirken wie aus einer anderen Welt, in der Kobolde und Elfen mit Salvador Dalí beim Met-Wein sitzen. Zum anderen, last, but not least, zwei Fotokünstlerinnen der besonderen Art. Völlig unterschiedlich nähern sie sich ihren Sujets. So beeindruckt Bettina Lindenberg mit ihrem sensiblen, ja geradezu zärtlichen Blick auf Details der Natur, die sie grafisch abstrahiert und so zu meditativen, tuscheartigen Schwarz-Weiß-Kompositionen arrangiert, dass sich sie sich in feinen Strukturen, Flächen und Linien aufzulösen scheinen. Auch bei Tanja Martina Federl sind die Fotografien gar nicht immer gleich als solche erkennbar, benutzt sie ihre mit der Kamera gesammelten Eindrücke doch lediglich als „Rohstoff“, wie sie es selbst nennt. Als Rohstoff, aus dem sie mithilfe von ausgefeilter Collagetechnik sowie weiterer digitaler Methoden – darunter Verzerrung, Verbiegen und Überblenden – Werke schafft, die einen geradezu hypnotischen Sog entfalten, dem man sich als Betrachter oder Betrachterin nur schwer entziehen kann.
Die Liebe zum Leben, die Liebe zur Kunst sowie zum Detail ist allen Ausstellenden gemein. Längst hat sich jeder und jede Einzelne der Runde über die Region hinaus einen Namen gemacht, und so ist es umso erfreulicher, diese sechs Talente vereint zu sehen an einem spannenden Ort, der zum Staunen, Sinnieren und gegenseitigen Austausch einlädt. Das Kunst-Erlebnis in diesen Tagen wird eingerahmt und komplettiert durch Gesang und Literatur: Im Rahmen der Vernissage am 7. Okober um 19 Uhr gibt die stimmgewaltige Mezzosopranistin Tanja Maria Froidl in Begleitung des Pianisten Christian Auer einige Lieder zum Besten: von Auer vertonte Gedichte von Marilyn Monroe. Zur Finissage am 11. Oktober liest gegen 15 Uhr die Münchner Autorin Carmen Schnitzer aus ihren Kurzgeschichten. Die Öffnungszeiten der Ausstellung sind donnerstags von 17-20 Uhr, freitags und samstags jeweils von 10-21 Uhr sowie sonntags von 10-19 Uhr.
So bleibt zum Abschluss nur zu sagen, dass jeder Besucher und jede Besucherin natürlich herzlich eingeladen sind, das ein oder andere Werk "freizukaufen". Denn so spannend sich die Werke hinter Gefängnismauern machen – nichts geht über Freiheit. Auch und gerade in der Kunst.
Weitere Informationen zu den Künstlern und Künstlerinnen:
Tanja Martina Federl: www.tanja-martina-federl.de
Linda Ferrante: www.linda-ferrante.de
Bettina Lindenberg: www.bettinalindenberg.de
Markus Lindinger: Markus-Lindinger-Kunst.jimdo.com
Gerald Weigand: www.kunstnet.de/protofakt
Leander Dolisni-Wennige: www.sklupturen-wennige.de
Tanja Maria Froidl: www.tmfroidl.de
Christian Auer: www.christianauer.com
Carmen Schnitzer: www.facebook.com/schnitzercarmen